Evangelium nach Markus
Mk 10,2-9[.10-12].13-16
Text hören:
Sprecher: R. Makohl | Musik: ©Bluevalley, J.S. Bach
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Euangelium
S. Marcus.
C. X.
DIe Phariſeer traten zu Jheſus / vnd fragten jn / Ob ein Man ſich ſcheiden müge von ſeinem Weibe? vnd verſuchten jn da mit. 3Er antwortet aber / vnd ſprach / Was hat euch Moſes geboten? 4Sie ſprachen / Moſes hat zugelaſſen einen Scheidbrieff zu ſchreiben / vnd ſich zu ſcheiden. 5Jheſus antwortet / vnd ſprach zu jnen / Vmb ewers Hertzen hartigkeit willen hat er euch ſolch Gebot geſchrieben / 6Aber von anfang der Creatur / hat ſie Gott geſchaffen ein Menlin vnd Frewlin. 7Darumb wird der Menſch ſeinen Vater vnd Mutter laſſen / vnd wird ſeinem Weibe anhangen / 8Vnd werden ſein die Zwey ein Fleiſch / So ſind ſie nu nicht zwey / ſondern ein Fleiſch. 9Was denn Gott zuſamen gefügt hat / ſol der Menſch nicht ſcheiden.
Fakultativ: Verse 10 - 12
10VND daheim frageten jn abermal ſeine Jünger vmb dasſelbige. 11Vnd er ſprach zu jnen / Wer ſich ſcheidet von ſeinem Weibe / vnd freiet ein andere / der bricht die Ehe an jr. 12Vnd ſo ſich ein Weib ſcheidet von jrem Manne / vnd freiet einen andern / die bricht jre Ehe.
VND ſie brachten Kindlin zu jm / das er ſie anrürete / Die Jünger aber furen die an / die ſie trugen. 14Da es aber Jheſus ſahe / ward er vnwillig / vnd ſprach zu jnen / Laſſt die Kindlin zu mir komen / vnd weret jnen nicht / Denn ſolcher iſt das reich Gottes. 15Warlich / Ich ſage euch / Wer das reich Gottes nicht empfehet / als ein Kindlin / Der wird nicht hin ein komen. 16Vnd er hertzet ſie / vnd leget die hende auff ſie / vnd ſegenet ſie.
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Darf
Der Text Mk 10,2-12 erzählt die Geschichte, in der Jesu über das mosaische Gebot befragt wird, das eine Ehescheidung zulässt.
Es schließt sich in Mk 10,13-16 die Erzählung an, in der Jesus seine Jünger auffordert, die Kinder zu ihm kommen zu lassen, und in der Jesus schließlich die Kinder segnet.
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Die Passage in Markus 10,2-12 behandelt Jesu Lehre zur Ehe und Scheidung. Aus evangelischer Sicht lassen sich folgende Überlegungen hervorheben, die in eine moderne Auslegung einfließen sollten:
Jesu Worte betonen den hohen Wert und die Unauflöslichkeit der Ehe als Teil der göttlichen Schöpfungsordnung. Dies steht im Einklang mit dem evangelischen Verständnis der Ehe als eine von Gott gestiftete Form der Lebensgemeinschaft.
Gleichzeitig muss jede strenge Haltung zur Scheidung im Kontext der damaligen patriarchalen Gesellschaft gesehen werden. Jesus schützt hier besonders die Rechte der Frauen, die leicht verstoßen werden konnten, einschließlich deren Kinder.
Die evangelische Theologie erkennt an, dass es Situationen geben kann, in denen eine Scheidung als letzter Ausweg notwendig sein kann, etwa bei Gewalt oder Untreue. Gottes Gnade und Vergebung gelten auch für gescheiterte Beziehungen.
Die Passage sollte nicht legalistisch ausgelegt werden, sondern als Aufruf verstanden werden, Ehen mit Hingabe und Treue zu führen und sich um Versöhnung zu bemühen.
In der seelsorgerlichen Praxis ist ein barmherziger Umgang mit Menschen in Beziehungskrisen wichtig, ohne den hohen Anspruch an die Ehe deshalb grundsätzlich aufgeben zu wollen.
Die evangelische Kirche sieht die Ehe heute nicht mehr als Sakrament, sondern als weltliche Ordnung, die unter Gottes Segen steht.
Diese Passage fordert uns heraus, Gottes ursprünglichen Plan für die Ehe ernst zu nehmen, ohne dabei die Realität menschlichen Scheiterns und die Notwendigkeit von Gnade und Neuanfängen, sowie von Schutz und Fürsorge zu übersehen.
Eine moderne Auslegung, die ihre Botschaften an heutige Christen richten will, muss traditionelle Vorstellungen von Ehe und Scheidung zwar aufgreifen, aber deutlich hinterfragen und nach neuen, zeitgemäßen Interpretationen suchen.
Die Passage ist im Kontext der damaligen jüdischen Ehegesetze und Praktiken sowie der gesellschaftlichen Strukturen zu betrachten.
Zu suchen und zu finden ist die existentielle Botschaft, die hinter Jesu Worten über Ehe und Scheidung steht, jenseits der wörtlichen Aussagen. Dabei wäre besonderes Augenmerk auf unterdrückende Strukturen in Ehe und Gesellschaft zu richten, die möglicherweise diese Sicht auf existentielle Botschaften versperren oder gar verhindern können.
Anzustreben ist, die Passage von zeitgebundenen Vorstellungen zu befreien und ihre Kernbotschaft für den modernen Menschen herauszuarbeiten.
Zu untersuchen sind die ethischen Konsequenzen von Jesu Lehre für zwischenmenschliche Beziehungen und Verantwortung sowohl in ihrer Wirkung bei den Betroffenen wie auch in der Gemeinschaft bzw. in der Gesellschaft. Ehe und Scheidung sind im Kontext einer hoffnungsvollen Ethik für zwischenmenschliche Beziehungen zu betrachten.
Die Passage kann nicht isoliert betrachtet werden. Sie müsste einer historisch-kritischen Analyse unterzogen werden, um ihre Authentizität und Bedeutung im Markusevangelium zu untersuchen. Wichtige Aspekte wie Zielgruppe, Empfänger und die Problemstellung in der gesellschaftlichen und religiösen Verortung beeinflussen die Botschaften, die sich mit ihnen verändern.
Die Auslegung von Mk 10,2-12 kann nicht an die historische patriarchale Gesellschaft der ursprünglichen Zielgruppe des Jesu-Wortes geknüpft bleiben. Das Jesus-Wort ist aus der Gegenwart unserer Gesellschaft heraus zu interpretieren.
Die folgenden Überlegungen versuchen, sich einem solchen Ziel zu nähern.
Eschatologisch betrachtet, endet die Ehe spätestens mit dem Tod. In der Auferstehung spielt sie keine Rolle mehr ( Mk 12,25). Dort besitzt sie weder für das Individuum noch für die Gesellschaft Bedeutung.
Damit kommt ihr allein im Hier und Jetzt Bedeutung zu. Und da gilt Barmherzigkeit, nicht Gesetzlichkeit.
Das Gotteswort »die zwei werden ein Fleisch sein« meint die Option der Menschen, die sicher geschehen wird, Kinder zu bekommen.
Kinder legitim zu bekommen war in alter Zeit der Ehe vorbehalten. Die Gesellschaften antworteten beispielsweise mit Zwangsverheiratung bei unehelicher Schwangerschaft oder mit Verstoßen der geschwängerten, der »geschändeten« Frau. Die Kirche sah uneheliche Geburten als Schande. Uneheliche Kinder konnten lange Zeit keine kirchlichen Weihen empfangen, gesellschaftlich waren solche Kinder geächtet.
Dieser Gedanke war eindeutig gegen Gottes Plan, also von Anfang an gegen Gottes Zukunftsvision für die Menschheit.
Genau da, im Kind, werden die zwei, Mann und Frau, »ein Fleisch«. Im Kind sind sie tatsächlich untrennbar vereinigt. In dieser Form ist »Ehe« für alle Zeiten unauflöslich. Diese Kinder werden teilhaben an der Auferstehung unabhängig vom Ehestand der Eltern. Das, die Teilhabe der Kinder am Reich Gottes, die Teilhabe der aus den Verbindungen von Mann und Frau entstehenden jeweils nächsten Generation ist Teil der eschatologischen Zukunftsvision, die mitten unter uns entsteht.
Selbstverständlich spielen dabei jene Fragen eine Rolle, die fragen nach der ehelichen und nichtehelichen Zeugung, nach gewollter Schwangerschaft oder künstlicher Befruchtung auch außerhalb des Ehestandes, nach Adoption und nach Leihmutterschaft, usw., sowie eben nach der Ehescheidung.
Mittlerweile haben sich die Voraussetzungen geändert. Kinder zu bekommen, ist nicht an die Ehe gebunden. Die Ehe ist nicht mehr der alleinige legitime, der alleinige gesellschaftliche und schon gar nicht der alleinige kirchliche Schutzraum für Kinder.
Heute ändert daran weder die uneheliche Zeugung etwas, noch die Ehescheidung von Partnern, die Kinder haben, noch die Wiederheirat mit Partnern, die schon Kinder haben, noch die Zeugung weiterer Kinder mit Partnern, die schon mindestens einmal geschieden waren.
Das Wort Gottes bleibt (in Langform): »die jeweiligen Zwei, die ein Kind zeugen, werden in diesem Kind ein Fleisch sein«. - Und um dieses Kind geht es Gott.
Folgerichtig wird der folgende Abschnitt MK 10,13-16 mit der Erzählung, in der Jesus die Kinder segnet, in der Lesung der Perikope über das Jesus-Wort zur Ehescheidung hinzugerechnet.
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Der wesentliche Aspekt der Auslegung von Mk 10,2-16 liegt auf der Betrachtung der Kinder als Zukunftsvision des Reichs Gottes, in dem Ehe nach der Auferstehung überhaupt keine Rolle mehr spielt.
Ehe war in früheren Zeiten die einzig legitime Form, Kinder zu zeugen. Dies ist heute längst nicht mehr gegeben. Sie verliert damit ihren »göttlichen« Sinn als exklusiver Ort der »Fruchtbarkeit und Vermehrung« ( siehe 1Mos 1,28).
Im Vordergrund der Überlegungen steht für Jesus immer Barmherzigkeit, stehen nicht Opfer (Gesetzlichkeit; nach Mt 9,13; Mt 12,7; Hosea 6,6), dem ordnet sich auch das Jesu-Wort über die Ehescheidung unter, das in seiner Zeit sehr wohl von Barmherzigkeit geprägt war, speziell gegenüber den Frauen und deren Kinder in der patriarchalen Gesellschaft, aber in unserer Zeit das gerade nicht mehr ist.
Die Geschichte, in der Abraham seine Nebenfrau Hagar samt dem gemeinsamen Kind Ismael verstößt ( 1Mos 21,9-16), zeigt auf, in welche Not verstoßene, also geschiedene Frauen und deren Kinder geraten konnten. Übrigens fand diese Trennung, die faktisch die Scheidung Abrahams von seiner Nebenfrau Hagar bedeutete, mit ausdrücklicher Erlaubnis und letztlich auf Wunsch von Gott persönlich statt. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist ganz klar kein absolut aufzufassender Wille Gottes. Dies wusste auch Jesus, der daher den Scheidebrief nicht verbot.
Im Text wird auf den Scheidebrief verwiesen, dessen Gebrauch gesetzlich möglich und gesellschaftlich üblich war. Jesus verbot mit seinem Wort über die Ehescheidung den Scheidebrief und damit die Scheidung nicht.
Wie er es selbst betonte, wusste Jesus sehr wohl um die »Hartherzigkeit« der Menschen. Der Scheidebrief war Teil jenes Gesetzes, das gesellschaftliches Miteinander ermöglichte, und das Jesus nicht aufheben wollte.
Für Jesus war durchaus klar, dass sein Ideal einer Unauflöslichkeit der Ehe bei legalistischer Auslegung viel Leid für Menschen in einer nicht funktionierenden Beziehung bedeuten kann (das meinte sein Verweis auf die »Hartherzigkeit« der Menschen). Das kann einer der beiden Partner sein, der da leidet, das können beide Partner sein, das sind, wenn vorhanden, aber auch immer deren Kinder, solange sie nicht beispielsweise aus hoffnungslos zerrütteten, möglicherweise gewalttätigen Beziehungen herauswachsen, entkommen können oder aus ihnen herausgenommen werden.
Über allem stehen die Jesus-Worte:
»Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern, das habt ihr mir getan.« ( Mt 25,40)
»Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer«
( Mt 12,7)
Darin zeigt sich die gesamte Intention der Lehren Jesu. Das Wort über die Ehescheidung ist dem unterzuordnen.
Und dieses Wissen, dass Gott keine Opfer will, muss dringend dort bewusst gemacht werden, wo in einer Ehe ein Partner, oder beide, oder Kinder zu Opfern eines völlig falschen Verständnisses vom Willen Gottes werden.
Perikope | Typ | Tag |
---|---|---|
1531 - 1898 | ||
Keine Verwendung an Sonntagen, Feiertagen und Gedenktagen |
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1899 - 1978 | ||
Mk 10,13-16 |
2. Evangelium |
|
Lutherische Kirchen 1958-1978 |
||
Mk 10,13-16 |
Reihe III |
|
1979 - 2018 | ||
Mk 10,2-9[.10-16] |
Evangelium + |
|
seit 2019 | ||
Mk 10,2-9[.10-12].13-16 |
Evangelium + |
Erläuterung der Varianten:
In den Eisenacher Perikopen (ab 1899) war nur die Erzählung »Jesus segnet die Kinder« (Verse 13-16) Evangeliumstext.
In der Zeit von 1979 bis 2018 zählte gerade diese Erzählung der Kindersegnung nur zum fakultativen Teil, der in der Textlesung ausgelassen werden konnte und nicht verpflichtend im Sonntagsevangelium enthalten war.
Ab 1979 zählen die Verse 10 bis 12, in denen die Jesu Ausführungen über die Scheidung noch einmal vertieft werden, weiterhin zum fakultativen Teil. Die Erzählung der Kindersegnung war nun wieder fester Bestandteil des Sonntagsevangeliums.
Das Video zeigt den Text der beiden Geschichten aus der Lutherbibel von 1545, in denen Jesus über Ehescheidung spricht und Kinder segnet, vorgelesen von Reiner Makohl.